HV04: The Magic Moments - Wirkfaktoren der Ego-State-Therapie.
Theoretischer Hintergrund:
Das Konzept der Ego-State-Therapie, dessen Auslegung sowie die Implikationen für seine praktische Anwendung haben sich seit den Veröffentlichungen des Ehepaar Watkins in den 90’er Jahren in hohem Ausmaß weiterentwickelt und aufgefächert. Heute lassen sich deutlich unterscheidbare »Färbungen« der Ego-State-Therapie finden, die sowohl eigene konzeptionelle als auch eigene praktische Schwerpunkte setzen. Die Ego-State-Therapie erlebt eine ähnliche Differenzierung wie viele weitere psychotherapeutische Ansätze vor ihr. Die Akteur:innen entwickelten das EST-Konzept weiter, versuchten es zu bereichern und durch hoch wirksame »Zutaten« zu optimieren. Die Einflüsse und die diskutierten Wirkfaktoren sind zahlreich und vielfältig. Ihre praktische Anwendung wird im Vortrag im Überblick vorgestellt.
Die Wirkfaktoren der Ego-State-Therapie lassen sich gleichfalls prozessorientiert darstellen und zuordnen. Jedes Prozesselement bietet hier eigene Potenziale. In jedem Prozesselement treten spezifische Wirkfaktoren in den Vordergrund.
An dieser Stelle möchte ich einen weiteren Wirkfaktor einbringen und hervorheben, der für manche vielleicht alt bekannt und selbstverständlich, für andere eine Erinnerung und für wieder andere eine neue Idee ist: Ich möchte den Fokus auf die »Begegnung der Person mit ihren noch unversorgten und unveränderten Ego-States« richten.
Neben den Bemühungen um korrigierende Erfahrungen der Ego-States, stellt die Begegnung mit einem »ursprünglichen (noch unveränderten) Ego-State« einen ernstzunehmenden Wirkfaktor dar. Es geht darum, Patient:innen dabei zu unterstützen, ihren Ego-States aufrichtig, mutig und ehrlich zu begegnen.
Mit einer vorrangig auf Optimierung von Ego-States fokussierten Haltung bestünde das Risiko der Ablehnung von »unveränderten Ego-States«. Ich schätze es als problematisch ein, wenn dadurch unbeabsichtigt implizite Bedingungen für die Integration zur Anwendung kommen, dass ausschließlich »reingewaschene« oder »passend gemachte« Ego-States erwünscht sind.
Demnach würden neben den »Prozessen der expliziten Arbeit mit Ego-States« »Prozesse der Begegnung« integriert, in denen das Potenzial dieses besonderen Moments ausgeschöpft werden kann, das vor allem in einer »neuen akzeptierenden Beziehungserfahrung mit dem unperfekten Selbst« besteht. Im Sinne M. Linehans wird für die Ego-State-Therapie ein dialektisches Vorgehen umgesetzt.
Literatur:
Fritzsche, K. (2024): Ego-State-Therapie zur Behandlung von Traumafolgestörungen. Ein Handbuch. Heidelberg (Carl-Auer-Verlag) 2. Aufl.
Fritzsche, K. (2024): Praxis der Ego-State-Therapie. Expedition Teilearbeit. Heidelberg (Carl-Auer-Verlag) 5. Auflage.
Fritzsche, K.: Online-Kurs „Ego-State-Therapie bei Traumafolgestörungen“ bei Life Lessons (www.lifelessons.de)